Multikulturell in der Beziehung

Die meisten Probleme würden verschwinden, wenn die Menschen mehr miteinander, anstatt übereinander reden würden.

Isaak Öztürk

Wo er recht hat, hat er recht. So ist es zum Beispiel kein Geheimnis das Pärchen Hürden überwinden müssen. Es ist auch kein Geheimnis, dass diese Hürden bei Pärchen unterschiedlicher Kulturen noch einmal härter sind.

Interkulturelle Beziehungen bedeuten eine besondere Herausforderung. Herausforderungen, auf denen nicht jede/r vorbereitet ist und für die es kaum öffentliche Vorbilder gibt. Warum? Vielleicht weil wir den Schein wahren wollen, sich andere daran gestört fühlen könnten, wir Probleme lieber runtersaufen als besprechen oder weil wir gelernt haben, über Beziehungsprobleme nur hinter verschlossenen Türen und den eigenen vier Wänden zu sprechen? Es hilft ungemein Menschen auf ihre eigenen Erfahrungen hin auszuquetschen. Die Autorin Brigitta Budzinski muss man nicht ausquetschen, sie hat sich freiwillig dazu entschieden, ihre Erfahrungen aus der Ehe mit einem Brasilianer zu veröffentlichen:
https://link.medium.com/NXc5pGnOubb

So wie auch Brigitta, hatte ich Brasilien vor 2018 überhaupt nicht auf dem Schirm und wenn ich mich damit beschäftigt habe, dann auch mehr aus Mitleid als aus romantischem Interesse.

Was ich deshalb genauso bald machte, als ich den Vater meines Sohnes kennenlernte: Jegliches Klischee über die Kultur googeln.

Auch mein Fund ähnelte dem von Brigitta: Ich las über Studien, die besagen, dass die BrasilianerInnen das eifersüchtigste Volk sind.

Ich las über draufgängerische Latinos, von Erzählungen über flüchtige Liebelein, überragende Eifersuchtsanfälle und Machos im pinken Shirt, die ihre Frauen am liebsten vor dem Herd wissen, während sie selbst an der nächsten Bar jede Dame bezirzen.

Brigitta Budzinski

Na „Prost Mahlzeit“ dachte ich mir. Es gibt Punkte, in denen ich nicht bereit bin Kompromisse zu schließen. Und in Punkto „Eifersucht“ und „Frauen vor dem Herd“ – danke an meinen eigenen Vater für beides – wird es von mir NIE einen Kompromiss geben. Im Gegenteil, wenn es darum geht, bin ich forsch, direkt, emanzipiert und muss aufpassen, dass ich das nicht extra noch provoziere oder jemanden damit beleidige.

Na gut, dachte ich mir… „BrasilianerIn ist nicht gleich BrasilianerIn und ÖsterreicherIn nicht gleich ÖsterreicherIn“. So ließ ich mich darauf ein und gab dem Mann die Gelegenheit, mir zu zeigen, dass Klischees nur die halbe Wahrheit sind.

Heute präsentiere ich hier à la Brigitta ein paar „Oh man!“ Erkenntnisse:

Wie Brigitta schreibt,

„so leidenschaftlich mein Brasilianer lieben kann, so leidenschaftlich kann er auch hassen — und als Brasilianer hasst er kaum etwas mehr als den Bruch von Loyalität“.

Brigitta Budzinski

Dem kann ich etwas abgewinnen. Auch ich hatte es mit der Verletzlichkeit meines Herren bezüglich dieses Themas sehr schwer. Ich kann daher Brigitta nur beipflichten:

„Wer es allerdings schafft, wird mit einem liebenswerten Partner belohnt, der einen wie seinen Augapfel hütet. Wer dazu jedoch nicht in der Lage ist, wird auf Dauer kaum glücklich.“

Brigitta Budzinski

So verständlich wie jeden Tag die Unterhose zu wechseln, sind für mich getrennte Bankkonten und getrennte Rechnungen. Dabei soll man sich das jedoch nicht so vorstellen, wie wenn ich darauf bestehe, jeden Cent streng und gerecht zu teilen, aber hüte sich davor, wer mir vorschlägt, die Bankkonten zusammenzulegen. Zu tief sitzen die Erinnerungen aus meiner Kindheit. Die Erinnerungen an meine Mutter, die meinen Vater um Geld anbetteln musste. Die Erinnerungen, an meine Mutter, die eine Gesichtscreme nicht kaufen konnte, weil ihr mein Vater kein Geld dafür gegeben hat, weil er der Meinung war, das sei völlig unnötig und verschwenderisch. Für mich gibt es daher nichts wichtigeres, als unabhängig zu leben und mir meinen Lebensstandard selbst auszusuchen.

Ich habe aufgehört zu zählen, aber es ist unglaublich, wie oft auch wir uns schon in langwierige Diskussionen, in der ich mit Logik und Gerechtigkeit, er wiederum mit seinen Träumen und Gefühlen argumentierte, verfangen haben. Auch ich muss gestehen, dass es mit meiner österreichischen Rationalität sehr schwer ist gegen die südländischen Emotionen anzukommen.

Was ich zu Brigitta‘s Artikel außerdem noch ergänzen möchte: Gute Liebesbeziehungen, wie auch Freundschaften zeichnen sich für mich vor allem durch Gemeinsamkeiten aus, die auf Langlebigkeit abzielen und durch Vertrauens- bzw. Verlässlichkeitspostuale abgestützt werden: man möchte auf den anderen zurückgreifen können, Unterstützung erhalten. Ich habe den Eindruck, dass die BrasilianerInnen im Gegensatz dazu ihre Konzepte von Liebesbeziehung und Freundschaft entweder auf soziale und religiöse Motive oder emotional-affektive Bedürfnisse auslegen und ihnen die Wechselseitigkeit der Gefühle wichtiger ist, als der ungestörte Gang in die Zukunft, aber ich mag mich täuschen!?!

Brigitta schreibt weiter:

„Wenn ein Brasilianer küsst, macht er das mit vollem Einsatz, als ginge es um die Ehre seines Vaterlandes, dem guten Ruf einer Nation; als müsse er mit jedem Schmatzer beweisen, dass Latinos es auch ja am besten können…“

Brigitta Budzinski

Als ich diese Sätze gelesen habe, musste ich lachen. Heute weiß ich, dass daran etwas wahres ist. Auch wenn ich das selbst nicht mit der Intensität, wie oben beschrieben, erlebt habe, aber ein schnelles Bussi, kaum die Lippen angehaucht und das war’s, gibt es bei den BrasilianerInnen nicht. Man nimmt sich Zeit zum Küssen. Schließlich gibt es kaum etwas Schöneres, als Zuneigung und geliebt zu werden.

Sei es nun das Essen, die Art zu Waschen oder die Hygiene, wie ihr hier im Blog schon von mir erfahren habt, seien es die Eifersucht, der Umgang mit Geld und das Verständnis für Unabhängigkeit, diese Beispiele sind nur einige von vielen, die schnell mal zeigen, welche emotionalen Hürden Pärchen unterschiedlicher Kulturen oder unterschiedlicher Vorstellung über Partnerschaft, Geschlechterrollen sowie der Herkunftsfamilie manchmal überwinden müssen.

Wie Brigitta bin auch ich der Meinung, dass es hilft die Kulturen genau zu untersuchen, Dokumentationen zu schauen, Bücher zu lesen, Menschen auf ihre eigenen Erfahrungen hin auszuquetschen, aber am meisten hilft es sicherlich es zu leben, am eigenen Leib zu erfahren, um es wirklich zu verstehen und nachvollziehen zu können.

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