Doch nur 1 Tag

Es gibt Tage, wie heute, da schaffe ich es in der Früh kaum die Augen zu öffnen. “Es hilft nichts”, “da muss ich durch”, denke ich mir. Immerhin hüpft seit 30, 40, 50 Minuten schon ein kleines Ding auf mir herum, knuddelt mich, küsst mich und versucht mich mit all seinen Liebkosungen zum Aufstehen zu überreden. Na gut, wer kann da schon widerstehen?

Schlaf taumelnd packe ich den kleinen Kerl, in der Hoffnung, dass seine Tante schon wieder zurück ist und ich ihn ihr abgeben kann. Fehlanzeige! Ich bewege mich mit ihm ins Wohnzimmer, um die Uhrzeit zu checken, weil ich es am Vorabend wieder einmal nicht geschafft habe, mein Handy ans Ladekabel zu stecken. Gut, viertel 9. Ich spekuliere, wie lange es noch dauern könnte, bis seine Tante wieder zurück ist. Vielleicht bis 9? Eine gute Gelegenheit, die Zeit bis dahin mit Duschen zu überbrücken. Schließlich ist das Kind immer noch nicht 100%tig fit, schläft schlecht und hat die Nacht wieder einmal mit den Zähnen und viel schwitzen verbracht. Wer mag es schon, mit voll geschwitzten Haaren in den Tag zu starten, denke ich mir.

Schnell Handy anstecken. Duschen. Fertig angezogen. Frühstück. Er patzt sich von oben bis unten an. Macht in die Hose. Na gut, wieder aus- und neu anziehen.

Endlich wieder hergerichtet, steht die Tante vor dem Fenster. Juhu, sie hat Frühstück für mich mitgenommen. Dem Himmel sei Dank! Ich war schon so hungrig.

Kind abgegeben. Essen reingehaut, wie wenn ich seit Tagen nichts bekommen habe. Dann folgt Neffen-Tanten-Zeit, die von mir genutzt wird, aufzuräumen und aus dem Bademantel zu entfliehen.

Ach nein, schon so spät, bald habe ich den langersehnten Massage-Termin. Schnell noch Mittagessen bestellen, damit die Tante hier bei uns auch nicht verhungert und los geht’s.

120 Minuten Wohlfühlprogramm. Grandios, wunderbar. Wie neu geboren und mit einem Lächeln im Gesicht verlasse ich den Salon.

Schon beim Rausgehen schnappe ich das Handy aus der Tasche. Endlich Zeit, um Papa anzurufen. Voller Begeisterung und Freude schildere ich ihm von dem Wohlfühlprogramm. Darüber, wie gut ich mich fühle, und wie notwendig das war. Ich bedanke mich bei ihm. Schließlich hat er mir den Gutschein letztes Jahr zum Geburtstag geschenkt. Heute, ein Jahr später und pünktlich zum Ablaufdatum, kann ich ihn endlich einlösen.

Dann, völliges Unverständnis dafür, warum ich es schon wieder nicht geschafft habe, in der Früh zum Handy zu greifen und ihm ein Foto von seinem Sohn zu schicken. Immerhin hatten wir die Abmachung, dass ich mich dieses Mal bemühe, jeden Morgen ein Update, sei es nur ein Textloses Foto, zu schicken. Und weiter, der Ratschlag von ihm, lieber gleich jetzt nach Hause zu fahren und nicht mehr einkaufen zu gehen, obwohl der Kühlschrank leer ist. Seiner Meinung nach könnte das Kind hungrig sein und mit der Tante nicht essen wollen.

Nein, es tut mir leid, heute ist ausnahmsweise mal MEIN Tag. Das Kind wird nicht verhungern, sondern auch mit der Tante essen, wenn es hungrig ist. Es ist 1 Tag, an dem ich nicht am Handy hängen will, ständig Fotos und Videos zu schießen, um den Moment dann doch nicht zu genießen! 1 Tag für mich! 1 Tag für den ich mich nicht rechtfertigen will und muss. 1 Tag, den ich mir auch verdient habe – bei aller Liebe, bei all dem Schmerz und all der Sehnsucht, weil du gerade weit weg bist, Papa!

Share:

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.