Afro hat Konjunktur

Brasilien 🇧🇷 / USA 🇺🇸; Bis vor Kurzem habe ich noch geglaubt, dass es Rassismus, wie etwa in den USA, in Brasilien nicht gibt. Warum? … weil Brasilien ein einziger Schmelztiegel an Kulturen ist und es nach dem Ende der Sklaverei – keine offizielle Rassentrennung, wie in den USA oder in Südafrika gab.

Besonders in Großstädten, wie São Paulo, fällt außerdem schnell auf, dass Menschen aller Hautschattierungen herumlaufen. Dabei mischt sich nicht nur weiß mit weiß, schwarz mit schwarz – wie das in Österreich noch oft genug der Fall ist, sondern bunt mit bunt, also „pardo“ (braun) mit „moreno“ (dunkel), café com leite” (milchkaffeefarben) oder schwarz (wobei der Begriff „mulato“ für schwarz mittlerweile als rassistisch gilt).

Wer glaubt, dass es die oder den typische/n BrasilianerIn gibt, der irrt. Spricht man mit den unterschiedlichen Ethnien, stellt man fest, dass sie alle BrasilianerInnen sind – egal, welche Hautfarbe, von ganz schwarz bis ganz weiß. Diese immensen Kontraste hinsichtlich der unterschiedlichen Kulturen Brasiliens und ihre Durchmischung habe ich bisher sehr bewundert. Bei genauerem Betrachten und „Studieren Brasiliens“ stellt man jedoch fest, dass die kulturelle Basis dreigeteilt ist: in die Urbevölkerung, den Indios – die portugiesischen EntdeckerInnen – und ihren ehemaligen afrikanischen SklavInnen.

Im Norden (Amazonasgebiet) findet man dabei vorwiegend die indianisch aussehenden Menschen. Im Nordosten (besonders im Bundesland Bahia) eher schwarze und dunkle Hautfarben, die Nachkommen schwarzer SklavInnen, und im Süden viele Hellhäutige, also maßgeblich die eingewanderten EuropäerInnen, allen voran die Deutschen und die ItalienerInnen. Im Südosten, besonders in São Paulo ist außerdem die asiatische Ausprägung stark vertreten. Besonders aus Japan sind hierher viele Menschen eingewandert, was in der Stadt ein berühmtes japanisches Viertel entstehen ließ.

Der überwiegende Teil der Bevölkerung entstammt jedoch den Nachfahren der weißen KolonialistInnen und den schwarzen SklavInnen.

Obwohl Brasilien nach Nigeria das Land mit der größten schwarzen Bevölkerung weltweit ist, haben es auch die Schwarzen hier nicht leicht. So erhielten die vollkommen mittellos in die Freiheit entlassenden SklavInnen 1888 keinerlei Unterstützung vom Staat. Es wurden keine Maßnahmen zur Integration als vollwertige BürgerInnen der ehemaligen Versklavten in die Gesellschaft gesetzt, was bis heute Spuren der Ungerechtigkeit in Brasilien hinterlässt. Die brasilianische Gesellschaft hat ihre Kultur der Sklaverei und der physischen, wie symbolischen Gewalt, bis heute nicht überwunden.

Laut der afrobrasilianischen Philosophin und Aktivistin Djamila Ribeiro schreibt sich der institutionalisierte Rassismus in Brasilien fort:

Alle 23 Minuten wird ein schwarzer Jugendlicher getötet. Auch die Gefängnisse sind voll von Schwarzen.

Djamila Ribeiro

Wie in den USA sind damit junge Schwarze und afrikanischstämmige Menschen auch in Brasilien nach wie vor Polizeigewalt ausgesetzt – besonders in den Peripherien der großen Städte.

Laut Statistiken sind drei Viertel der ärmsten zehn Prozent AfrobrasilianerInnen. Schwarze haben schlechter bezahlte Jobs und eine geringere Lebenserwartung. Arm und Reich ist eben auch in Brasilien oft gleichbedeutend mit Schwarz und Weiß.

Das Bildungssystem Brasiliens folgt weiterhin ethnozentrischen Mustern

Auch im Bildungssystem sind AfrobrasilianerInnen schlechter gestellt. Denn Brasiliens öffentliche Schulen sind miserabel. Wer sich keine Privatschule leisten kann, wird für den Aufnahmetest an der Universität kaum ausreichend vorbereitet sein.

In den letzten Jahren treten die AfrobrasilianerInnen aber mit neuem Selbstbewusstsein in die Öffentlichkeit. Ein großer Sieg sind dabei sicher die 2001 eingeführten Quotenregelungen für Schwarze und Indigene an Universitäten und für Personalbesetzungen im öffentlichen Dienst. Im Fußball und in der Musik haben sie den Durchbruch längst geschafft. Auch in den so beliebten und einflussreichen Telenovelas und in Nachrichtenformaten sind sie mittlerweile besser repräsentiert. In Führungsetagen oder Reichenvierteln sucht man sie allerdings meist weiterhin vergeblich. 

Dass Brasiliens Präsident Jair Bolsonaro, der für homophobe, sexistische und rassistische Äußerungen bekannt ist, einen Rückschlag für den Kampf gegen die Diskriminierung von Schwarzen und auch Indigenen bedeutet, ist leider anzunehmen. Eines von Bolsonaros Lieblingsthemen ist die Wiederherstellung der Sicherheit. Schwarze Jugendliche diffamiert er als notorisch Kriminelle, denen man nur durch mehr Waffen und Polizeigewalt begegnen kann.

Die Rede vom “Nutella-Rassismus” in Brasilien

Nach AfrobrasilianerInnen in seinem Kabinett sucht man ebenfalls vergeblich. Und der von der Regierung ernannte Chef der “Fundação Cultural Palmares” – eigentlich eine öffentliche Einrichtung zur Förderung der afrobrasilianischen Kultur – leugnet die Existenz von Rassismus im Land. Und das, obwohl Sérgio Camargo selber afro-stämmig ist. Für ihn existiert in Brasilien nur ein «Nutella-Rassismus». Weiter äusserte er sich auch zur Sklaverei, die zwar «schrecklich, aber vorteilhaft für die Nachfahren» gewesen sei. Gemäss seinen Aussagen leben die Schwarzen Brasiliens heute besser als die schwarze Bevölkerung Afrikas.

Wirklichen Rassismus gibt es nur in den USA. Die hiesigen Schwarzen beschweren sich nur, weil sie dumm und nicht informiert sind.

Sérgio Camargo

Außerdem forderte er die Abschaffung des „Tag des schwarzen Bewusstseins“ zur Erinnerung an die während Jahrhunderten unterdrückte schwarze Bevölkerung.

Der Tag sei peinlich.

Sérgio Camargo

Mit seinen Aussagen passt Camargo gut zur Linie Bolsonaros, der die historische Aufarbeitung und Aufklärung als «linke Meinungsdiktatur» diffamiert. So will sich auch Camargo gegen eine «Opfer-Mentalität und das politisch Korrekte» einsetzen.

Die Professorin Ana-Lucia Araujo nannte die Ernennung

(…) den Versuch, alles zu zerstören, was Afro-Brasilianer und ihre Bewegung seit dem Ende der Militärdiktatur aufgebaut haben.

Ana-Lucia Araujo

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